Ein Projektierer aus Norddeutschland ist im Südosten unterwegs. Er meint es gut. Er will auf der Fläche eines Landwirts gerne eine Photovoltaik-Anlage erbauen. Der Bauer findet das Vorhaben gut, auch wenn er sich wegen der 30-jährigen Nutzungsdauer etwas sorgen macht. Auf dem Randstreifen soll eine blühende Wiese entstehen - für die Insekten, und für die Biodiversität im allgemeinen.
Der Projektierer erfährt im Gespräch mit dem Bürgermeister, der dem Vorhaben zwar offen, aber nicht direkt begeistert gegenübersteht, dass es vor Jahren schon einmal den Versuch gegeben habe, hier eine Solaranlage zu errichten. Damals sei man dagegen gewesen. Gar nicht so sehr wegen des Vorhabens selbst, sondern weil der Projektierer mit einer Arroganz aufgetreten sei, den Leuten hier nicht gefallen habe. Nächste Woche soll das Projekt im Gemeinderat präsentiert werden. Auf die Frage, wie viele der Ratsmitglieder denn auch beim letzten Mal schon dabei gewesen seien, meint der Bürgermeister, dass dies fast alle gewesen waren, nur ein paar wären neu.
In der Folgewoche kommt der Projektierer wieder in den Ort im Südosten. Er parkt sein Auto auf dem Vorplatz zum Rathaus. Auf dem Beifahrersitz kramt er seinen Laptop zusammen. Als er aussteigt, wird er direkt von jemanden angesprochen. Ein mittelalter Herr, graues Haar, schwarze Kappe auf dem Kopf. Was er hier wollen, wird der Projektierer gefragt. Der fühlt sich etwas überfahren und antwortet erstmal gar nicht. Er sei hier nicht willkommen, er solle sich wieder in sein Auto setzen und fahren, sonst passiere was, wird von dem mittelalten Herrn mit der schwarzen Kappe geraunt. Die Aggressivität schockiert den Projektierer. Er ist ja einiges gewohnt in den Auseinandersetzungen, aber das er direkt am Auto bedroht wird, ist ihm neu. Er versucht sich am Pöbler vorbeizuschieben. Hinter dem stehen aber weitere Menschen, die nun auf ihn einschreien. Verpissen soll er sich, seine Anlage brauche hier keiner, hier wären alle für Atomkraft, den Klimawandel geben es gar nicht, er sei nur hier um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, er wolle die Natur zerstören! Jeder Vorwurf ein Treffer gegen die inneren Werte des Projektierers. Er schaut zum Rathaus hinüber, die Tür ist verschlossen. Kein Bürgermeister, der ihm Schutz gebend herüberwinken würde. Der Projektierer steigt zurück in sein Auto und fährt weg.
Solche Szenen sind zum Glück immer noch die Ausnahme, aber sie kommen durchaus vor. Es scheint etwas ins Rutschen geraten zu sein. Immer wieder hört man von tätlichen Übergriffen auf Projektierer oder auch Gemeindemitglieder, die eigentlich für den Ausbau von Wind- und Solarenergie sind. Sie können sich nicht mehr auf Ortsfeste trauen, weil es immer ein paar gibt, die meckern, die pöbeln und die auch verächtlich werden. Manche von ihnen Schrecken auch für Übergriffen nicht zurück.
Es ist nicht die Mehrheit, die so agiert. Es sind einzelne. Ja, es gibt auch genug Menschen, die sich denen dann in den weg stellen, die nicht akzeptieren, wenn jemand jemand anderen einfach blöd anmacht. Vor allem, wenn es keine sachlichen Argumente sind, die vorgebracht werden, wenn es ihnen nur darum geht, Stimmung zu machen gegen die, die Energiewende machen. Und dabei ist es schon unerheblich, wie das Projekt aussieht, zu wie viel Entgegenkommen man bereit ist, wie viel man machen will, um Akzeptanz für das Projekt zu schaffen. Manchen wird es nie reichen, weil sie in einer fundamentalen Opposition gegen alles sind, was nicht ihrem Weltbild, was nicht ihrer Weltanschauung entspricht.
In meiner Arbeit mit den verschiedenen Akteuren bekomme ich immer wieder gespiegelt, wie dramatisch manche Situation zugespitzt wird. Alles an Anstand lässt sich vermissen, wenn Kolleginnen als Frau diskreditiert werden, wenn man ihnen vorwirft, dass sie ja keine Ahnung hätten, bloß weil sie Frauen seien oder wenn auf Kollegen faules Obst geworfen wird, wenn diese dabei sind eine Veranstaltung zu moderieren.
Die Frage, die mich dann immer erreicht: Wie soll man darauf reagieren? Immer häufiger komme ich zu der Überzeugung, dass man die diplomatische Ebene, die sachliche Ebene verlassen muss. Denn hier wird eine Grenze überschritten, die nicht toleriert werden kann. Ich bin überzeugt, dass man zeigen soll, dass man ein Mensch ist, dass man verletzt wurde - körperlich oder in seinen Ehre. Niemand hat das Recht jemandem Kompetenz abzusprechen, nur weil man Frau ist, niemand hat das Recht faules Obst auf jemanden zu werfen, nur weil man eine Veranstaltung moderiert. Aggressivität darf nicht mit Aggressivität bekämpft werden, aber man muss auch nicht die andere Backe hinhalten.
Immer wieder zeige ich auf, wie man mit Körpersprache agieren kann, um sein Gegenüber in Schach zu halten. Wenn jemand auf mich zukommt, dann bleibe ich ganz ruhig stehen. Keine Geste der Abwehr, keine Geste der Flucht. Einfach stehenbleiben. Denn es geht bei diesem Agieren nicht um den Aggressor, sondern um alle anderen, die auch gerade im Raum sind. Die Gemeinschaft hat nämlich einen starken regulierenden Faktor aus das Individuum.
Niemand will aus einer Gruppe ausgeschlossen werden. Das Zugehörigkeitsgefühl ist basal für jeden Menschen. Und genau das kann man adressieren. Feinen Nuancen können bereits den Ausschlag geben. Sowas erlernt man auch nicht von heute auf morgen, sondern es braucht immer wieder die Übung und den Schneid, nicht in Abwehr oder Flucht zu verfallen, denn genau diese beiden Aspekte sind Urinstinkte, wie wir auf Aggression reagieren. Aber, wer sich beherrschen kann, der kann auch andere beherrschen und weiß dabei die Mehrheit hinter sich.
Ein paar Tricks zur Selbstverteidigung schaden aber nie. Wenn ich beispielsweise damit rechne, dass ich womöglich vor Ort angegangen werde, dann nehme ich immer prophylaktisch meinen Schlüssel in die Hand. Denn ich weiß damit, dass wenn ich zuschlagen müsste, ich richtig zuschlagen könnte. Ich habe es noch nie getan, aber der psychologische Effekt auf meine ganze Körpersprache beeindruckt mich selbst immer wieder.
Was hätte also der Projektierer vom Anfang tun sollen? Auch einen Schlüssel in die Hand nehmen? Vielleicht. Er hätte auf jeden Fall seinen Weg zum Rathaus fortsetzen sollen. Er hätte den Pöbler darauf hinweisen können, dass er nicht das recht habe ihn anzuschreien. Die Schwierigkeit dabei ist nur, abzuschätzen, wie die anderen reagieren. Sind die hinter mir oder nicht. Im Zweifelsfall ist es trotzdem gut, wenn man sich wieder ins Auto setzt und die Polizei anruft. Denn alleine muss man sowas nicht durchstehen.
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