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Das Paradoxon der Beteiligung – Warum die Energiewende ein People’s Business ist

Aktualisiert: 11. Sept.

Beteiligung gilt als Schlüssel für das Gelingen der Energiewende. Doch sie folgt ihren eigenen Paradoxien. Je weiter ein Projekt fortgeschritten ist, desto weniger Handlungsspielräume gibt es – aber desto größer wird das Bedürfnis nach Beteiligung. Und: Je mehr echte Beteiligung stattfindet, desto schneller verläuft ein Projekt. Je weniger, desto länger zieht es sich hin.


Energiewende ist kein rein technisches Vorhaben, sondern ein People’s Business. Es geht um Menschen, um ihre Wahrnehmungen, Ängste, Hoffnungen und Wertvorstellungen. Auch wer schweigt, kommuniziert – frei nach Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Das gilt auch für Gemeinden, in denen Wind- oder Solarprojekte geplant sind.


Zahlen, Fakten – und Gefühle


Projektentwickler arbeiten mit Zahlen, Daten und Fakten. Doch viele Menschen können mit diesen Informationen nur bedingt etwas anfangen. Für die meisten ist Energiewende kein tägliches Geschäft, sondern eine abstrakte politische Debatte, die plötzlich vor der eigenen Haustür konkret wird. Entscheidend ist daher, Gefühle ernst zu nehmen: Wahrnehmungen, Machtfragen, persönliche Betroffenheit.

Ein Beispiel: Bevor ein Projektentwickler überhaupt ein Wort gesagt hat, nehmen die Menschen bereits seinen Auftritt, seine Kleidung, seine Haltung wahr – und deuten sie. Ob diese Deutungen stimmen oder nicht, spielt zunächst keine Rolle. Sie prägen das Bild und können Vertrauen schaffen oder zerstören.


Kontrolle und Kontrollverlust


Beteiligung heißt, Kontrolle zu teilen. Das ist schwer – für Projektentwickler ebenso wie für Gemeinderäte oder Bürger:innen. Wer das Gefühl hat, keine Kontrolle mehr zu haben, reagiert oft mit Widerstand. Stillstand ist die Folge. Deshalb muss Beteiligung so gestaltet sein, dass Menschen Orientierung und zugleich Gestaltungsräume erhalten.


Beispiele aus der Praxis


In einer norddeutschen Kommune gelang es lange nicht, mit Gemeinderat und Bürger:innen ins Gespräch zu kommen. Die Blockade führte zu Spekulationen und Misstrauen. Erst durch gezieltes Beziehungsmanagement, persönliche Gespräche und das Stellen der richtigen Fragen („Was braucht ihr, um entscheiden zu können?“) gelang es, Vertrauen aufzubauen. Am Ende stimmten alle 19 Gemeinderäte dem Projekt zu – ein seltener Erfolg.


In Bayern zeigte sich das gegenteilige Muster: Alle sprachen miteinander, aber es gab keine Entscheidungen. Sitzungen zogen sich hin, Projekte wurden vertagt. Auch hier zeigte sich: Beteiligung ist nicht nur Kommunikation, sondern zielgerichtete Kommunikation. Ohne Struktur und klare Prozesse läuft Beteiligung ins Leere.


Komplexe Systeme erfordern Anpassung


Technische Verfahren sind kompliziert, aber beherrschbar. Menschliches Verhalten dagegen ist komplex – nicht planbar, nicht berechenbar. Genau deshalb braucht Beteiligung Offenheit, Empathie und Anpassungsfähigkeit. Jedes Projekt, jede Gemeinde ist anders. Wer erfolgreich sein will, muss die lokale Realität verstehen: Wer sind die prägenden Akteure? Welche Themen bewegen die Menschen vor Ort? Welche Gemeinschaftsorte – ob Bibliothek, Schwimmbad oder Schützenverein – sind identitätsstiftend?


Vertrauen als Währung


Die Energiewende hat zwei Währungen: Fläche und Vertrauen. Fläche ist Voraussetzung für Projekte. Vertrauen ist Voraussetzung dafür, dass sie umgesetzt werden können. Ohne Vertrauen gibt es keine Akzeptanz.


Beteiligung bedeutet daher vor allem Beziehungsarbeit. Sie beginnt nicht erst mit einer Infoveranstaltung, sondern schon mit dem ersten Gedanken: „Mit wem habe ich es hier zu tun?“ Wer sich darauf einlässt, wer zuhört und sich anpasst, baut Brücken.


Am Ende ist die Energiewende kein rein technisches Projekt. Sie ist ein soziales Projekt. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Energiewende ist People’s Business.

 
 
 

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