top of page

Fledermäuse und Windenergie: Neue Erkenntnisse zu einem alten Konflikt

ree

Die Energiewende braucht Windenergie – doch wo sich die Rotoren drehen, sind auch Fledermäuse unterwegs. Zwei aktuelle BfN-Studien werfen nun neues Licht auf die Frage, wie sich moderne Windenergieanlagen (WEA) auf Fledermäuse auswirken – und was das für Planung und Genehmigung bedeutet.


Zwei Studien, ein Ziel: Naturverträgliche Windenergie


Die Schriftenreihe des Bundesamts für Naturschutz (BfN) hat im Jahr 2025 gleich zwei Forschungsberichte veröffentlicht, die sich mit dem Zusammenspiel von Windkraft und Fledermausschutz beschäftigen:


  • BfN-Schrift 741: „Die Höhenverteilung von Fledermäusen an Windenergieanlagen“ (Behr et al.)

  • BfN-Schrift 742: „Schutz von Fledermäusen beim Windenergieausbau“ (Mammen et al.)


Beide Studien haben denselben Hintergrund: Die technische Entwicklung der Windenergieanlagen schreitet rasant voran – größere Rotoren, höhere Türme, neue Standorttypen. Doch die naturschutzfachlichen Standards stammen vielfach noch aus einer Zeit, als Anlagen 100 Meter niedriger und deutlich kompakter waren. Die zentrale Frage lautet daher: Wie müssen wir das Zusammenspiel von Anlagentechnik und Artenschutz neu denken?


Studie 1: Wie Fledermäuse um Windräder fliegen – und was das für die Risikoabschätzung bedeutet


Die Untersuchung von Behr et al. (BfN-Schrift 741) liefert die bislang umfassendste Datengrundlage zur Höhenverteilung von Fledermäusen an Windenergieanlagen. Auf Basis von über 400 WEA-Jahren akustischer Erfassung wurde untersucht, wo sich Fledermäuse tatsächlich im Luftraum bewegen – und wie sich ihre Aktivität mit der Höhe verändert.


Ergebnisse in Kürze:


  • Mit jedem Höhenmeter nimmt die Fledermausaktivität um etwa 1,9 % ab.

  • Arten der Gattung Nyctalus (z. B. Großer Abendsegler) fliegen häufiger in großen Höhen, während Pipistrellus-Arten (z. B. Zwergfledermäuse) deutlich bodennäher aktiv sind.

  • Auch horizontal zeigt sich eine Abnahme: Pro Meter Entfernung vom Turm sinkt die Aktivität um rund 11 %.


Diese Daten ermöglichen erstmals eine deutlich genauere Abschätzung des Kollisionsrisikos – und damit eine bessere Grundlage für Abschaltalgorithmen oder Habitatbewertungen.


Eine besonders praxisrelevante Frage war: Lohnt sich der Aufwand, zusätzlich zum Gondelmikrofon (Standard) auch ein Turmmikrofon zu installieren?


Die Antwort fällt differenziert aus:


  • In Norddeutschland, wo Anlagentypen und Landschaft offener sind, kann ein zusätzliches Turmmikrofon die Prognosegenauigkeit verbessern.

  • In Süddeutschland hingegen bringt es meist weniger Erkenntnisgewinn, weil sich die Aktivitätsmuster in der Höhe gleichmäßiger verhalten.


Empfehlung: Eine zusätzliche Turmerfassung ist vor allem dort sinnvoll,


  • wo der Rotor besonders tief reicht (unter 30 m über Boden),

  • oder wo die Umgebung (Gewässer, strukturreiche Wälder, Holzlagerplätze) eine besonders hohe bodennahe Fledermausaktivität erwarten lässt.


In allen anderen Fällen ist es effizienter, mehr Anlagen mit Gondelmikrofonen zu überwachen, statt einzelne Türme doppelt auszustatten.


Studie 2: Die neuen Riesen und ihre Risiken


Die zweite Studie – Mammen et al. (BfN-Schrift 742) – blickt auf die Windenergie der neuen Generation. Heute erreichen moderne Anlagen Höhen von über 240 Metern und Rotordurchmesser von 150 bis 160 Metern. Damit rücken die Rotoren näher an den Boden – und in den Flugraum vieler Fledermausarten.


Vier Anlagentypen standen im Fokus:


  1. Sehr hohe WEA (> 200 m Gesamthöhe)

  2. Anlagen mit geringem unteren Rotordurchlauf (< 50 m über Vegetation)

  3. WEA mit großen Rotoren (> 90 m)

  4. Kleinwindanlagen (< 50 m, meist in Siedlungen)


Die Analyse von Daten aus dem Marktstammdatenregister, Länderleitfäden, Schlagopferdatenbanken und Expertenworkshops zeigt ein deutliches Bild:


Der technische Fortschritt ist der naturschutzfachlichen Praxis voraus.

In den meisten Bundesländern werden auch modernste Anlagen noch nach alten Bewertungsmaßstäben genehmigt. Vermeidungsmaßnahmen wie temporäre Abschaltungen, akustische Detektion oder habitatbezogene Planung werden oft zu selten umgesetzt – oder ihre Wirksamkeit bleibt unkontrolliert.


Hauptbefunde:


  • Die bestehenden Länderleitfäden sind uneinheitlich, teils veraltet oder widersprüchlich.

  • Schutzmaßnahmen werden sehr unterschiedlich interpretiert und angewendet.

  • Die zunehmende Anlagenhöhe verändert die Kollisionsrisiken, insbesondere durch neue Flugrouten in größeren Höhen.


Empfehlungen der Studie:


  • Bundeseinheitliche Vorgaben zur Bewertung und Regulierung von Fledermausrisiken.

  • Verbindliche Überwachungspflichten für Abschaltzeiten und Betriebsmodi.

  • Forschungslücken schließen – etwa zum nächtlichen Zugverhalten von Fledermäusen und zu Anlockungseffekten durch Licht oder Wärmestrahlung.

  • Integration technischer Fortschritte (z. B. Gondel- und Turmerfassung, Wärmebildtechnik) in die Genehmigungspraxis.


Was beide Studien gemeinsam zeigen


Beide Forschungsarbeiten verdeutlichen: Die Schnittstelle zwischen Energiewende und Artenschutz muss neu vermessen werden. Die alte Formel „Höher = sicherer“ gilt nicht mehr uneingeschränkt. Große Rotoren, variable Turmhöhen und neue Standorttypen verändern die Gefahrenlage – und verlangen nach flexibleren, datenbasierten Lösungen.


Ein modernes Fledermaus-Monitoring muss daher:


  • Höhenprofile und Flugmuster realistisch abbilden,

  • technische Anlagenkonfigurationen berücksichtigen,

  • und regional unterschiedliche Aktivitätsmuster einbeziehen.


Nur so lässt sich der Betrieb von Windparks wirklich adaptiv und naturverträglich steuern.


Fazit: Fortschritt braucht Feingefühl


Die beiden BfN-Studien führen eindrucksvoll vor Augen, dass Energiewende und Artenschutz keine Gegensätze sind – sofern die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in der Praxis ankommen. Ein datenbasiertes, adaptives Monitoring, klare rechtliche Leitplanken und eine einheitliche Anwendung von Vermeidungsmaßnahmen können Konflikte erheblich verringern.


Der Weg zu einer naturverträglichen Windenergie führt nicht über mehr Bürokratie, sondern über bessere Information, klügere Planung und konsequente Umsetzung.

 
 
 

Kommentare


bottom of page