ECHO und AUFBRUCH - 9. Ausgabe
- Michael Krieger

- 24. Nov.
- 6 Min. Lesezeit

Der Infomarkt ist tot, es lebe der Infomarkt

Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch schon aufgefallen ist: Die Besucherzahlen bei Infomärkten sinken. Vor fünf oder sechs Jahren – also vor Corona – war es keine Seltenheit, dass 300 Menschen an einem Dienstagabend um 18 Uhr in die örtliche Turnhalle, den Saal einer Gaststätte oder das Gemeindehaus kamen, um sich über ein Wind- oder Solarparkprojekt zu informieren. Heute gilt es schon als Erfolg, wenn 150 Interessierte erscheinen. Viele Veranstaltungen, die ich in letzter Zeit begleitet habe, verzeichnen eher 50 bis 70 Besucher. Die Zusammensetzung ist dabei erstaunlich konstant geblieben: Es kommen weiterhin Befürworter, Kritiker und jene, die sich einfach ein eigenes Bild machen wollen. Auch die Dynamik der Gespräche ist ähnlich geblieben – nur die Zahl der Teilnehmenden schrumpft. Und das, obwohl der Aufwand gleichgeblieben oder sogar größer geworden ist: Plakate werden gestaltet, Kommunikationsstrategien abgestimmt, Moderationen gebucht, Konzepte verfeinert. Doch immer öfter beschleicht einen das Gefühl: Das klassische Format Infomarkt passt nicht mehr ganz in unsere Zeit.
Deshalb denken viele – auch ich – über Alternativen oder Weiterentwicklungen nach. Der Infomarkt bleibt wichtig, aber er wird zunehmend ergänzt: Landing Pages bieten heute weit mehr als nur Basisinformationen – sie sind oft ganze Infoportale, mit Plänen, Visualisierungen und Erklärvideos. Vorab-Vorträge als Videoformate ermöglichen es Interessierten, sich unabhängig von Ort und Zeit intensiver zu informieren. In 20 oder 30 Minuten kann ein Projekt viel gründlicher vorgestellt werden, als es in einem fünfminütigen Gespräch vor Ort möglich wäre. Allerdings zeigen auch hier die Aufrufzahlen: Die Reichweite bleibt überschaubar. Das Publikum scheint kleiner, aber zugleich fokussierter zu werden.
Das wirft Fragen auf: Haben die Menschen schlicht das Interesse an der Energiewende verloren? Oder sehen sie sie inzwischen als selbstverständlich an – als etwas, das ohnehin passiert, ob sie sich einbringen oder nicht? Vielleicht denken viele: „Ob vor meiner Haustür ein Windpark oder Solarpark entsteht – das gehört heute eben dazu. Warum sollte ich dafür meine Zeit opfern?“ Eine nachvollziehbare Haltung. Ebenso denkbar ist, dass manche schlicht müde geworden sind, sich mit der Energiewende zu beschäftigen. Dass sie sich ohnmächtig fühlen, weil sie glauben, ohnehin nichts bewirken zu können. Und tatsächlich: Ganz gleich, welche Regierung man wählt – der Ausstieg aus Atom- und Kohleenergie ist beschlossen. Die Energiewende findet statt, in welcher Form auch immer. Sie ist Realität, kein Zukunftsprojekt mehr.
Bleibt die Frage: Was ist das Ziel eines Infomarkts in dieser neuen Realität? Wenn in einer Gemeinde mit 3.000 oder 4.000 Einwohnern 50 bis 70 Menschen kommen – ist das dann ein Misserfolg? Oder vielleicht genau die richtige Zielgruppe: diejenigen, die sich wirklich informieren, die nachfragen, die mitreden wollen. Ich neige zur zweiten Antwort. Denn auch wenn es Aufwand, Zeit und Geld kostet – diese 50 bis 70 Menschen sind entscheidend. Sie prägen die Stimmung vor Ort, sie tragen Informationen weiter, sie sind Teil der öffentlichen Meinungsbildung. Demokratie lebt vom Mitreden, vom Austausch, von der Auseinandersetzung über die Sache. Und genau dafür braucht es Formate, die diesen Dialog ermöglichen – analog wie digital.
Der Infomarkt ist nicht tot. Aber er ist im Wandel. Vielleicht kleiner, aber konzentrierter. Vielleicht weniger spektakulär, aber dafür nachhaltiger in der Wirkung. Wir sollten nicht nur die Zahl der Teilnehmenden zählen, sondern den Wert der Gespräche, die dort geführt werden. Denn jede offene Diskussion – mit 300 oder mit 30 Menschen – ist ein Beitrag zum Gelingen der Energiewende.
Warum Beziehungen über Genehmigungen entscheiden

Technisch perfekte Projekte scheitern selten an der Technik. Sie scheitern an Menschen. An Missverständnissen, verletztem Vertrauen, unausgesprochenen Konflikten. Wer Windenergieprojekte entwickelt, weiß: Die größten Hürden stehen nicht im Genehmigungsrecht, sondern im Gemeindesaal. Und genau hier entscheidet sich, ob ein Projekt gelingt oder im Widerstand steckenbleibt.
Ein Windpark wird nicht genehmigt – er wird ermöglicht. Er entsteht dort, wo Vertrauen wächst. Wo Kommunen das Gefühl haben, ernst genommen zu werden. Wo Eigentümer wissen, worauf sie sich einlassen. Und wo Menschen das Gefühl behalten, Einfluss zu haben. Deshalb ist Stakeholdermanagement kein Add-on. Es ist das strategische Fundament jeder erfolgreichen Projektentwicklung.
Die drei häufigsten Fehler: Technik zuerst, Kommunikation zuletzt. Viele Teams konzentrieren sich auf technische Machbarkeit und vergessen, dass letztlich Menschen über den Erfolg entscheiden. Ein sauberer Flächennutzungsplan ersetzt kein Gespräch am Gartenzaun. Alle gleich behandeln. Gleichbehandlung klingt fair – ist aber ineffizient. Unterschiedliche Akteure haben unterschiedlichen Einfluss und unterschiedliche Bedürfnisse. Wer alle über einen Kamm schert, verliert Fokus und Ressourcen. Reaktiv statt strategisch. Wer wartet, bis ein Konflikt aufpoppt, hat schon verloren. Proaktive Kommunikation heißt, Signale früh zu deuten und Konflikte zu entschärfen, bevor sie eskalieren.
Strategisches Stakeholdermanagement bedeutet, Beziehungen zu verstehen, zu strukturieren und zu steuern. Drei zentrale Werkzeuge helfen dabei: Akteursanalyse: Wer hält den Schlüssel zum Projekterfolg? Konfliktfeldanalyse: Welche Spannungen wirken unter der Oberfläche? Einfluss-Haltung-Matrix: Wer braucht wann welche Aufmerksamkeit?
Damit wird Beziehungsarbeit planbar – und bleibt trotzdem menschlich. Stakeholdermanagement ist keine Gefühlssache, sondern strategische Beziehungsarbeit mit Haltung. Es geht um Zuhören, Klarheit und Konsequenz. Um Respekt und Verlässlichkeit. Wer diese Prinzipien ernst nimmt, spart Konflikte – und gewinnt Vertrauen. Denn letztlich entscheidet nicht das Windrad über Akzeptanz. Sondern das Gespräch.
Reaktanz verstehen: Was Polarisierung für die Energiewende bedeutet

Die Wahlen 2025 zeigen deutlich: Unsere Gesellschaft wird zunehmend polarisiert, Ränder gewinnen an Gewicht, und die Ablehnung gegenüber „der anderen Seite“ wächst. Auf dieser Bühne prallen scheinbar klare Botschaften wie „Klimaschutz!“ oder „regionale Wertschöpfung!“ in der Energiewende immer häufiger ab – oder erzeugen sogar Widerstand. Der psychologische Schlüssel dahinter heißt Reaktanz: Wenn Menschen das Gefühl haben, in ihrer Freiheit eingeschränkt zu werden, moralisch bewertet oder belehrt zu werden, reagieren sie mit innerem Widerstand – bis hin zur Trotz-Gegenposition.
Zur Einordnung: Bei der Bundestagswahl 2025 erreichte die CDU 22,6 % der Zweitstimmen, die AfD 20,8 %, die SPD 16,4 %, die Grünen 11,6 %. Die Wahlbeteiligung lag bei 82,5 %. Auch bei der Kommunalwahl in NRW zeigt das Ergebnis eine Verschiebung: die CDU 33,3 %, SPD 22,1 %, AfD 14,5 %, Grüne 13,5 %. In den Bundesländern spiegelt sich der Trend: In Sachsen-Anhalt lag die AfD in aktuellen Umfragen bei etwa 40 %, die CDU bei 26 %. In Mecklenburg-Vorpommern kam die AfD auf rund 38 %, die SPD bei 19 %. In Baden-Württemberg bewegt sich die CDU bei etwa 29–31 %, die Grünen bei 17–20 % und die AfD bei rund 20–21 %. Diese Zahlen sind kein politischer Kommentar – sie sind ein Hinweis darauf, wie stark Reaktanz wirkt: Wo Botschaften als moralischer Druck wahrgenommen werden, steigt die Ablehnung.
Reaktanz ist ein reflexhafter Widerstand gegen wahrgenommene Bevormundung. Typische Auslöser sind moralisches Framing („Gute vs. Schlechte“), Narrative mit wenig Raum für Widerspruch oder Ambivalenz sowie das Gefühl, Entscheidungen fänden ohnehin ohne Beteiligung statt. Genau diese Muster begegnen uns häufig in Energie- und Infrastrukturprojekten. Das bedeutet: Wenn wir mit Slogans wie „wir müssen“ oder „alternativlos“ arbeiten, erzeugen wir nicht Zustimmung – wir riskieren Abwehr. Wenn wir sagen „Klimawandel zwingt uns zu handeln“, hören viele: „Da wird mir etwas übergestülpt.“ Und wenn wir „regionale Wertschöpfung“ propagieren ohne sichtbar zu machen, wer wie profitiert und wer wie belastet wird, erzeugen wir Misstrauen.
Für die Umsetzung der Energiewende vor Ort heißt das konkret: Erstens: Man muss weg vom Überzeugungs-Appell hin zur Ko-Produktion. Statt: „Wir machen das hier“, besser: „Wir stellen gemeinsam die Entscheidungsarchitektur her: Welche Kriterien gelten, wer bewertet, wer entscheidet, wie informieren wir?“ So steigt das Gefühl von Autonomie statt Opposition. Zweitens: Man muss Narrative entschärfen, ohne sie völlig aufzugeben. Drei Optionen mit Konsequenzen aufzeigen – inklusive „Nichts tun“ – und dabei offenlegen, welche Lasten und Nutzen damit verbunden sind. Drittens: Reaktanz-bremsende Prozessformate einbauen: Timing beachten (zunächst Verfahren, dann Inhalte), Wortwahl sensibilisieren („wir wollen gemeinsam“, nicht „wir müssen“), Mikro-Anerkennung von Sorgen ermöglichen (statt sofortiges Widerlegen). Viertens: Fairness sichtbar machen – Rückflüsse in die Gemeinde, Bürgerfonds, Beteiligung an Erträgen, transparente Kontrolle. Fünftens: Die Botschaften so formulieren, dass sie nicht triggern: Statt „Klimawandel zwingt uns“, besser: „Wir haben drei Wege – schauen wir gemeinsam, welcher für uns hier passt.“
Die aktuellen Wahlergebnisse zeigen: Eine hohe Wahlbeteiligung, große Mobilisierung und starke Parteienwechsel bedeuten, dass Öffentlichkeit aufmerksam und empfindlich ist. Auf kommunaler Ebene zeigt sich, dass Themen wie Verteilungsgerechtigkeit („Wer zahlt? Wer profitiert?“) dominieren. In Regionen mit starken populistischen Parteien ist die Reaktanz gegenüber etablierten Argumentationsmustern besonders hoch. Das heißt konkret: Kommunikative Formen, die 2010 noch reibungslos funktionierten, greifen 2025 nicht mehr automatisch. Es braucht Verfahren und Formate, die Beteiligung nicht nur symbolisch, sondern real ermöglichen.
Ein konkreter 6-Punkte-Fahrplan könnte lauten: Erstens ein öffentliches Kick-off zur Frage „Wie entscheiden wir?“, nicht primär „Was entscheiden wir?“. Zweitens ein Transparenz-Dashboard zur laufenden Information: Geldflüsse, Lärm- und Artenmonitoring, Bau- und Betriebszeiten – möglichst monatlich verfügbar. Drittens ein Bürgerfonds mit Los-Beteiligung – damit Rückflüsse in die Bevölkerung spürbar und demokratisch gesteuert werden. Viertens die Vorlage von drei Szenarien inklusive „Nichts tun“ mit klaren Trade-offs (Flächenbedarf, Energiebilanz, Kosten). Fünftens moderierte Anerkennungsrunden, die ausschließlich den Sorgen der Bewohner Raum geben, ohne sofortige Pro/Contra-Debatte. Sechstens Stop-Regeln, bei denen feststeht: Wenn bestimmte Schwellen (z. B. Artenschutz-Gutachten, Lärmprognose überschritten) erreicht werden, wird nachgesteuert oder neu verhandelt.
Im Ergebnis zeigt sich: In einer polarisierten Zeit schlägt nicht das lauteste Argument, sondern das fatale Verfahren. Wer Reaktanz vermeidet, gewinnt nicht nur Zustimmung – sondern belastbare Akzeptanz, Transparenz und langfristige Umsetzungskraft. Für die lokale Energiewende heißt das: weniger moralischer Druck, mehr Beteiligung, mehr Sichtbarkeit, mehr Fairness. Denn nur so wird aus einem Projekt der Energiewende nicht ein gesellschaftlicher Konflikt, sondern eine gemeinsame Gestaltung.

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