Windrad vor die Haustür, Geld auf das Konto
- Michael Krieger
- 2. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Um die Akzeptanz zu erhöhen, sollen Kommunen und Anwohner anWindkraft und großen Solaranlagen mitverdienen. Ist das auch ein wirksames Mittel gegen die Energiewende-Gegner der AfD?
Von Thomas Hummel (Süddeutsche Zeitung)

Wer in Sachsen ein Windrad aufstellen will, der muss mit Ärger rechnen. Manchmal wird es richtig aggressiv. Projektleiter und Verbandsvertreter berichteten kürzlich der Sächsischen Zeitung, es würden sogar Drohungen ausgesprochen gegen Ortsvorsteher, die die Windkraft befürworten, oder gegen Eigentümer, die ihre Grundstücke verpachten wollen. An Infoabenden organisieren Unternehmen inzwischen einen Wachschutz. Für die rechte Szene, für die AfD oder die Freien Sachsen ist der Kampf gegen die Windanlagen zu einer Art Markenkern geworden. Generell lehnen sie die Energiewende weg von Öl, Gas, Kohle und Atom ab.
Neben gängigen Argumenten gegen die inzwischen mehr als 200 Meter hohen Bauwerke wie Verschandelung der Landschaft oder Kollisionen mit Vögeln kommt in den neuen Bundesländern das Thema Geld hinzu. Während im Westen viele Gemeinden die Windräder bewusst auf eigenem Grund erbaut haben und von den enorm steigenden Pachteinnahmen profitieren, besitzen Kommunen im Osten aus historischen Gründen kaum eigene Flächen. Dort haben die Menschen die Dinger oft vor dem Fenster und wissen: Den Profitstecken andere ein. Doch das soll sich nun ändern. Nicht nur im Osten.
Immer mehr Bundesländer fordern Pflichtabgaben von den Betreibern
Bund und Länder erlassen immer mehr Gesetze, nach denen Betreiber von Windrädern und großen Freiflächensolaranlagen einen Anteil am Gewinn an die umliegenden Kommunen abgeben sollen. Oder diese sich finanziell an den Kraftwerken beteiligen können, um anschließend an den Erträgen teilzuhaben. „Akzeptanz erzeugt man durch wirtschaftliche Beteiligung“, sagte Armin Willingmann (SPD) aus Sachsen-Anhalt bei der Konferenz der Energieminister der Länder vergangene Woche in Rostock.
Die erste Pflichtabgabe zugunsten von Kommunen erließ 2016 Mecklenburg-Vorpommern. Nach der Klage eines Unternehmensfolgte ein jahrelanger Rechtsstreit, doch die Landesregierung erhielt recht. Die Ampelkoalition in Berlin hat dann Ende 2023 eine Regelung erlassen, die eine freiwillige Zahlung der Unternehmen an Kommunen anregt bei teilweiser Kompensation durch den Bund. Einige Bundesländer wie Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Thüringen setzten inzwischen Pflichtabgaben obendrauf. Hessen, Sachsen-Anhalt wollen folgen.
Welchen Einflussfinanzieller Profit auf die Stimmung im Ort hat, kann Peter Weiken erzählen. Der parteilose Bürgermeister von Rüthen in Nordrhein-Westfalen berichtet, seine Stadt habe schon an denWindrädern verdient, da gab es noch gar keine Gesetze dazu. Weiken habe den Betreibern der Anlagen eine gute Zusammenarbeit versprochen, wenn sie ein biszwei Prozent der Erträge abgeben. Schließlich müssten Kabel durch Gemeindegrund verlegt, Wege bereitgestellt werden.
Alternativ müssten sie die Millionenprojekte gegen den Widerstand der örtlichen Behörden durchziehen, und das wollten die Unternehmen dann doch nicht. Rüthen, gelegen zwischen Dortmund und Paderborn, freut sich seit Jahren über 50 000 bis 60 000 Euro Zusatzeinnahmen. Geld, das vor allem den örtlichen Vereinen zugutekomme, sagt der Bürgermeister. Tische für die Schützen, ein Zuschuss für den Wagenbau der Karnevalisten, Pauken für die Musikanten. „Die Akzeptanz hat sich dadurch tatsächlich verbessert“, sagt der 53-Jährige, „die Leute sehen, dass sie von den Windrädern selbst einen Benefit haben.“
In den Gemeinderäten wächst die Zustimmung zu den Kraftwerken
Für kleine, ländliche Kommunen kann das eine nützliche Zusatzeinnahme ein. In Brandenburg muss ein Windradbetreiber pauschal 10 000 Euro im Jahr pro Anlage an die umliegenden Gemeinden überweisen, der 900-Einwohner-Ort Mühlenfließ, südwestlich von Berlin an der Autobahn A9 gelegen, bestreitet damit zehn Prozent seines gesamten Haushalts. Einige Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern haben sich finanziell am Bau von Windparks als Investoren beteiligt und erwarten nun Renditen. In Nordrhein-Westfalen, wo zurzeit am meisten Windräder gebaut werden, nimmt eine Stadt wie Nideggen mit 11 000 Einwohnern etwa 46 000 Euro im Jahr ein. Tendenz vielerorts steigend, weil die Kommunen mit den Betreibern jetzt neu verhandeln können.
Die Fachagentur Wind und Solar hat auf einer Deutschlandkarte im Internet für jede Gemeinde anhand von bereits bestehenden und geplanten Windkraftanlagen mögliche Einnahmen überschlagen und kommt in vielen Regionen auf fünf- bis sechsstellige Summen. Dabei entwerfen die Landesregierungen jeweils ihre eigenen Bezahl- oder Beteiligungsmodelle. Die Kernfrage dabei lautet: Reicht das, um zumindest eine solide Mehrheit von der Notwendigkeit der Energiewende zu überzeugen?
„Für die Bevölkerung wird dadurch im Kleinen spürbar, dass sie gerade in den ländlichen Räumen auch positive Auswirkungen hat“, sagt Achim Brötel, Präsident des Deutschen Landkreistags, der Süddeutschen Zeitung. Wenn nicht nur die Beeinträchtigungen im Landschaftsbild, sondern auch handfeste finanzielle Vorteile vor Ort blieben, fördere das definitiv die Akzeptanz.
Skeptischer ist Michael Krieger, Geschäftsführer der Firma Dialoge Digital, die Kommunen bei Bauvorhaben erneuerbarer Energien berät: „Meiner Wahrnehmung nach steigt die Akzeptanz dadurch bei Gemeinderäten, aber nicht in der Bevölkerung“, schreibt er, dort sei die Wahrnehmung eher, „dass die Gemeinderäte bestochen werden, den Anlagen zuzustimmen“.
Die Menschen müssen die Verbesserungen durch die Energiewende sehen Aufgrund der prekären Kassenlage vieler Kommunen fließt das Geld oft in den Kernhaushalt, um Pflichtaufgaben wie Instandhaltung von Straßen, Schulen, öffentlichen Gebäude, Wasser- und Abwasserleitungen zu stemmen. Krieger hingegen rät den Rathäusern, die Einnahmen aus Wind- oder Solaranlagen an sichtbare Projekte zu binden, etwa die Sanierung des Marktplatzes, den Neubau eines Spielplatzes, längere Öffnungszeiten der Bibliothek oder Verschönerung des Stadtparks. „Es ist unerlässlich, diese Verbindung zu machen, weil dann konkrete Verbesserungen durch die Energiewende vor Ortsichtbar werden und so die Akzeptanz zunimmt.“
Gerade im Osten erscheint das immer dringender nötig, denn bei der Bundestagswahl war die Anti-Windkraft-Partei AfD fast überallstärkste Kraft. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, und das sogar mit großem Vorsprung. Vielleicht auch deshalb arbeitet die Landesregierung aus SPD und Linken gerade an einer Novelle ihres Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetzes, in dem die Pflichtabgabe für Windradbetreiber an Kommunen bei einer Rekordsumme von 0,8 Cent pro Kilowattstunde festgelegt ist. Zum Vergleich: Der Bund rät zu einer Abgabe von 0,2 Cent.
Die Unternehmen reagierten entsetzt, es gab Protestschreiben mehrerer Verbände. Ein solch hohe Abgabe mache Windenergie-Projekte unwirtschaftlich und bremse damit den weiteren Ausbau der Erneuerbaren, erklärte Stefan Dohler vom Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft BDEW. Hinter vorgehaltener Hand fürchtet die Branche gerade im Osten ein Rennen der Landesregierungen, wer mehr Geld herausholt aus den Projekten. Und falls dadurch die Energiewende abgewürgt wird? Nicht so wichtig. Hauptsache, man bricht irgendwie diese AfD-Welle.
Auch Peter Weiken in Rüthen bemerkt inzwischen einen Sinneswandel bei seinen Bürgern. Immer mehr wollen selbst profitieren von den Windrädern in Sichtweite, statt die Gemeindekasse mit den Einnahmen zu füllen. Bei zwei Versammlungen hätten Anwohner so massiv auf konkrete Geldvorteile für sich gedrängt, dass sich der Investor bereit erklärte, Zahlungen direkt auf ihr Konto anzuweisen. In einem Dorf erhält jeder Bürger pro Jahr 100 Euro, in einem zweiten 70 Euro. Weiken findet: „Wir machen hier tolle Sachen in diesem Rüthen.“
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